Wer über den Luxus verfügt, Amphibien an einem Teich beim Heranwachsen zuzusehen, wird sich über die verschiedenen Stadien wundern, die ein Tier dabei durchläuft. Die Unterschiede zwischen jungen und ausgewachsenen Tieren, vor allem in ihrer Fähigkeit zum Überleben innerhalb und außerhalb des Wassers, mögen verblüffen, in der Entwicklung von Landlebewesen waren sie aber entscheidend.

Die ersten vierbeinigen Tiere behielten das Aufwachsen im Wasser als Erinnerung an ihre Abstammung bei und konnten erst im Erwachsenenalter an Land gehen. Für die Besiedelung der Kontinente war das aber ein Hindernis, denn Fortpflanzung war so im Landesinneren unmöglich.

Als dementsprechend wichtig wird die Entwicklung eines Eis mit fester Schale angesehen. Es enthält quasi eine kleine Blase des Ur-Ozeans, in dem sich Landtiere in feuchter Umgebung entwickeln können, bis sie bereit für das Leben auf dem trockenen Land sind.

Erst den sogenannten Amnioten gelang vor 320 Millionen Jahren das Kunststück, die Kontinente zu erobern. (Wem die Bezeichnung zu technisch ist, der oder die darf sie auch "Nabeltiere" nennen.) Zu dieser Gruppe zählen neben den Säugetieren auch die Lepidosauria, zu denen Eidechsen gehören, und den Archosauria, zu denen Dinosaurier, Vögel und Krokodile gehören.

Eine Erdkröte in einem Teich. Die amphibische Lebensweise ist über 320 Millionen Jahre alt.
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Zweifel an der Bedeutung des Eis

Lange Zeit ging man davon aus, dass die Entwicklung des "amniotischen" Eis, mit seiner gegenüber Amphibieneiern festeren Schale, den entscheidenden evolutionären Durchbruch darstellte, der unseren Vorfahren erlaubte, zu reinen Landlebewesen zu werden. Doch neuerdings gibt es Zweifel an dieser Theorie. Sie befeuert auch eine neue Studie, die nun im Fachjournal "Nature Ecology & Evolution" erschien. Laut dem Team aus Forschenden der Universitäten Nanjing und Bristol gibt es noch eine andere Möglichkeit, die nicht außer Acht gelassen werden darf.

Unter vielen Arten von Amnioten gibt es nämlich ein Verhalten, das lebendgebärenden Tieren ermöglicht, ihren Nachwuchs vor schädlichen Umwelteinflüssen zu schützen. Sie verzögern die Geburt, was als im Englischen als Extended Embryo Retention, kurz EER, bezeichnet wird. Sie könnte es Landlebewesen ermöglicht haben, auch ohne das Eierlegen ihren Nachwuchs vor Trockenheit zu schützen, bis er bereit für das Landleben war. Aber gab es dieses Verhalten damals überhaupt?

Das Forschungsteam untersuchte zur Beantwortung dieser Frage 51 ausgestorbene und 29 aktuell lebende Spezies von Amnioten, darunter eierlegende und lebendgebärende. Das Ergebnis: Alle wichtigen evolutionären Entwicklungsrichtungen von Amnioten hatten Vorfahren, die lebendgebärend und zu EER fähig waren.

"Als die Amnioten vor 320 Millionen Jahren auf den Plan traten, konnten sie sich vom Wasser entfernen, indem sie eine wasserdichte Haut und andere Möglichkeiten zur Kontrolle des Wasserverlusts entwickelten", sagt Michael Benton von der School of Earth Sciences in Bristol. Das Ei sei dafür als Schlüssel betrachtet worden. "Es galt als 'privater Teich', in dem das sich entwickelnde Reptil vor dem Austrocknen in den warmen Klimazonen geschützt war, und ermöglichte es den Amnioten, sich vom Wasser wegzubewegen und terrestrische Ökosysteme zu dominieren."

Der Axolotl nimmt als Amphibium eine Sonderstellung ein, weil er ein Leben lang im Larvenstadium bleibt und rein unter Wasser lebt.
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Erste Landtiere flexibler als gedacht

Doch die Rolle des Eis sei nun infrage gestellt, sagt Projektleiter Baoyu Jiang: "Biologen hatten festgestellt, dass viele Eidechsen und Schlangen eine flexible Fortpflanzungsstrategie zwischen Oviparie und Viviparie verfolgen. Manchmal zeigen eng verwandte Arten beide Verhaltensweisen, und es stellt sich heraus, dass lebendgebärende Eidechsen viel leichter als angenommen zur Eiablage zurückkehren können."

"EER ist heute bei Eidechsen und Schlangen weit verbreitet und variabel. Es scheint ökologische Vorteile der EER zu geben, die es den Müttern vielleicht erlauben, ihre Jungen freizulassen, wenn die Temperaturen warm genug und das Nahrungsangebot reichhaltig sind", sagt Joseph Keating, der an den Forschungen beteiligt war.

Ob die ersten Amnioten aus Eiern schlüpften, sei also nicht sicher, betonen die Forschenden. Die Fähigkeit, lebend zu gebären und die Jungen flexibel im Mutterleib zu behalten, könnte eine ähnliche Funktion erfüllt haben. Vielleicht haben beide Strategien gemeinsam die Eroberung der Landflächen durch Vierbeiner ermöglicht. (Reinhard Kleindl, 13.6.2023)